Die Natur als Künstler
Funkelnde Eiskristalle, glitzernde Nebelschwaden, weisser Reif – die Natur steckt voller Phänomene. Als Künstler hat Thomas Rappaport dafür ein besonderes Auge. Im Mittelpunkt seines Projektes «giSCHt – melting sculptures» steht das Lebensende eines Kirschbaumes: Nach 80 Jahren Blütenpracht, rotem Früchtereichtum, Schattenspenden und als Teil des Klimas, lässt er ihn ein letztes Mal in aussergewöhnlichem Licht erscheinen.
Thomas Rappaport über sein Kunstprojekt
Gischt bezeichnet ein Naturphänomen, das ich so umschreiben möchte: Der Wind streicht über den See, nimmt dabei Wassertropfen auf, um am Seeufer Bäume und alles was da ist, zu befeuchten. Bei entsprechenden Minusgraden können dabei bizarr schöne Eisskulpturen entstehen.
Wasser als «Kunst-Stoff»
Angefangen habe ich als Holzbildhauer, mit ganz traditionellen klassischen Holzskulpturen, die auf einem Sockel stehen. Im Laufe der Jahre entdeckte ich den Baum selbst als Material, dann den stehenden, abgestorbenen Baumstamm und schliesslich den lebenden Baum. Vor einigen Jahren stiess ich dann durch Zufall darauf, dass meine Holzskulpturen eine ganz andere Wirkung bekommen, wenn sie ins Wasser gelegt werden: Durch den Auftrieb bleibt ein Teil unter der Wasseroberfläche und ist trotzdem sichtbar. Das Licht bricht sich am Wasserspiegel und damit die Form der Skulptur. Hinzu kam eine Entdeckung: Durch das Fotografieren meiner schwimmenden Holzskulpturen (Flösse) von unterhalb des Wasserspiegels wurden optische Brechungen und Spiegelungen sichtbar. So begann ich das Wasser selbst als «Kunst-Stoff» wahrzunehmen.
All das führte dazu, der Natur «auf die Finger zu schauen». Sie nutzt Wärme und Kälte wie einen Bildhauermeissel. Es gibt einen triple point, einen Punkt, an dem Druckverhältnisse und Temperatur so beschaffen sind, dass das Wasser – fast! – gleichzeitig flüssig, fest (eben Eis) und gasförmig (Dampf/Nebel) ist.
Diese Erfahrungen sind in das giSCHt-Projekt eingeflossen: Den abgestorbenen Kirschbaum habe ich mit einem Heisswasser-Hochdruckreiniger, eingesprüht, in mehreren Schritten, bei Temperaturen unter null Grad, also Dauerfrost. Es legte sich ein Eispanzer über alles.
Im Einklang mit der Natur
Diesen Baum hatte ich in der Vorbereitung zu giSCHt zu unterschiedlichen Jahreszeiten schon gut kennengelernt, aber während der intensiven Arbeit über Tage und Nächte, mit Kunstlicht oder tagsüber mit Sonnenschein, wurde aus meinem Erleben ein Zwiegespräch.
Wie nimmt der Baum das Wasser an? Wie geht er mit der Kälte um? Teile des Eises tauten wieder weg, kleinere Äste brachen unter dem Gewicht. Die Herausforderung lag darin, den Wasserstrahl zu variieren, zu rhythmisieren, ihn in Bewegung zu bringen, in fliessende Formen, im Flow zu sein – und nur im Augenblick. Ein Teil dieses Kunstkonzeptes liegt auf naturwissenschaftlichem Terrain. Es gab früher, und wohl auch noch heute, Obstbauern, die im März und April, wenn Nachtfröste die Blüten zu zerstören drohen, es also um die Erträge des Sommers geht, einen Sprühnebel über ihre Blüten legen. So bildet sich ein Eispanzer, der vor Frost schützt.
Paradox: Es entsteht eine Art «Wärmepolster» mit circa einem Grad minus, das dann vor dem Strahlungsfrost, der um zehn Grad minus liegen kann, schützt. Vergleichbar mit einem Iglu, der den Eskimos wohnlichen Schutz bietet.
Die Aggregatzustände des Wassers
Das Druck-Temperatur-Diagramm
Das Druck-Temperatur-Diagramm zeigt die Übergänge in die verschiedenen Aggregatzustände. Dabei können in Abhängigkeit von Umgebungsdruck und Temperatur alle drei Aggregatzustände in einem Punkt gleichzeitig vorliegen, dem so genannten Triplepunkt.
Wenn Wasser zu sieden beginnt, das geschieht in Meereshöhe bei 100 Grad Celsius, verdampft flüssiges Wasser zu Wasserdampf. Kühlt Wasser auf null Grad ab, gefriert es zu festem Eis. Umgekehrt schmilzt Eis bei null Grad zu Wasser. Wasserdampf wiederum kondensiert bei 100 Grad Celsius zu Wasser. Wenn Eis direkt, also ohne den flüssigen Aggregatzustand zu durchlaufen, in den gasförmigen Zustand übergeht, nennt man das sublimieren. Es handelt sich um ein sogenanntes Austrocknen von Eis. Umgekehrt resublimiert Wasserdampf zu Eis, sichtbar als Eisblumen oder Raureif.
Nebel entsteht, wenn sich Wassertröpfchen in der Luft ganz fein verteilen. Dies geschieht, wenn sich die Luft abkühlt und dadurch weniger Feuchtigkeit aufnehmen kann. Das überschüssige Wasser beginnt zu kondensieren.
Reif bildet sich, wenn unterkühlter Wasserdampf direkt aus dem gasförmigen Zustand in den festen Zustand übergeht. Dieses geschieht bei Temperaturen unterhalb von null Grad Celsius.
Wasser ist Leben – ohne Wasser wäre Leben nicht denkbar
Wasser kommt auf der Erde in unterschiedlichen Gestaltformen vor. Die Sonne verdunstet flüssiges Wasser zu Wasserdampf. Er wird in Form von Wolken oder Nebel sichtbar und kehrt als Regen wieder zurück auf die Erde. Bei Temperaturen unter null Grad Celsius gefriert Wasser zu Eis. Noch heute erinnern die Gletscher an die letzte Kaltzeit, die bis vor ca. 10 000 Jahren herrschte. Erdwärme erhitzt in der Erde vorkommendes Wasser und lässt heisse Wasser-Quellen entstehen. Dieses Wasser tritt gasförmig aus und kondensiert an der kühleren Luft schnell zu Wasserdampf, ein Gleichgewichtszustand zwischen flüssiger und gasförmiger Phase.
Aus unserem Alltag kennen wir die drei „Zustandsformen“ des Wassers, auch Aggregatzustände genannt:
- fest
- flüssig
- gasförmig
Im festen Zustand ist es formstabil, im flüssigen Zustand passt es sich dem umgebenden Raum an und im gasförmigen Zustand füllt es den zur Verfügung stehenden Raum vollständig aus.
Thomas Hoffmann, Mathematiker, Wasserwirtschaftler, Bildhauer und Pädagoge
Der Künstler Thomas Rappaport
- 1957 in Zürich geboren
- Abitur am Kunstgymnasium
- Ausbildung zum Holzbildhauer
- Arbeit als Heilpädagoge
- Studium an der Freien Hochschule Stuttgart
- Lehrer für Kunst und Handwerk
- Dozent in der Erwachsenenbildung
- Seit 1998 eigenes Atelier im Wildpark Stuttgart
- Seit 1999 freie Kunstprojekte im Wald
- Seit 2008 freischaffender Künstler.
«In seiner Arbeit verbinden sich menschliche Kreativität und natürliche Kreation, künstlerisches Schaffen und göttliche Schöpfung. Er vertraut sich in seiner Kunst ganz der Natur an, nimmt es mit ihren Stoffen und Kräften auf, geleitet von langer Erfahrung und tiefem Respekt. Er entwickelt mit grossem technischen Aufwand Natur-Performances als kraftvolle Rituale. In ihnen bringt er auf beeindruckende Weise die Schönheiten und Mächte der Natur zur Erscheinung.»
Dr. Tobias Wall, Kunsthistoriker
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