IDEEN FLIEGEN LASSEN, OHNE DIE BODENHAFTUNG ZU VERLIEREN
Das eine Unternehmen existiert seit mehreren Jahrzehnten, hat Zigtausende Mitarbeiter und ist rund um den Globus aktiv. Das andere gibt es quasi erst seit gestern, besteht aus fünf Überzeugungstätern und einer grandiosen Idee. Dass diese beiden Welten sehr fruchtbar zusammen arbeiten und Innovationen voranbringen können, ist inzwischen bekannt. Dass es dabei darauf ankommt, grosse Unterschiede zu überbrücken, ebenfalls.
Auf der Suche nach Start-ups
Kärcher ist 2016 in die Suche nach spannenden Start-ups eingestiegen und hat bereits einige interessante Technologien und Geschäftsmodelle aufgetan. Was konkret dabei entstehen kann, zeigt das Beispiel SightCall. Das Service-Tool wurde ausgewählt, wird derzeit in mehreren Auslandsgesellschaften getestet und befindet sich am Ende seiner Pilotphase. Wie es läuft und lief, erfuhr difference bei SightCall und bei Kärcher. Ausserdem im Gespräch: Sobhan Khani, Vizepräsident Mobility und Internet of Things bei Plug & Play (Sunnyvale, USA), einer Innovations-Plattform, die Konzerne und Start-ups zusammenbringt.
„Durchstarten nach sieben Garagenjahren.“
Interview mit Hans Göttlinger, Vizepräsident DACH bei SightCall
Herr Göttlinger, wie entstand die Idee zu SightCall?
Die Idee wurde tatsächlich schon vor rund zehn Jahren geboren. Unsere Gründer kommen aus dem Telekommunikationsbereich und erkannten das klassische Service-Hotline-Problem: Ein Kunde beschreibt seinen Kummer, und der Servicetechniker am Telefon kann nicht nachvollziehen, welcher Lösungsansatz passt. So kam es zu dem Konzept, dem Servicetechniker durch Videoübertragung Augen vor Ort zu verleihen. In der Vermarktung ist das Ganze aber erst seit etwa drei Jahren, denn Authentifizierung, Datensicherheit und die universelle Anwendbarkeit für Industriekunden waren doch Herausforderungen, die es zu meistern galt. SightCall ist heute rein cloud-basiert, also in fünf Minuten installiert und unkompliziert in der Handhabung. Und wir starten nach sieben Garagenjahren jetzt erst richtig durch.
Was sind die Vorteile der Kooperation mit Kärcher für Ihr Unternehmen?
Kärcher ist ein sehr erfolgreiches Unternehmen, also eine gute Referenz für uns. Ausserdem bekommen wir sowohl Feedback vom Serviceteam als auch von den Kunden, das ist sehr wertvoll. Was wir zudem feststellen konnten: Es geht nicht immer nur um klassische Problemlösungen und Servicearbeiten. Auch wenn Anwender durch Handhabungsfehler mit einem Produkt nicht zufrieden sind, lässt sich dies über SightCall schnell feststellen und beheben. Das ist ein schöner Nebeneffekt unserer Lösung.
Wie sehen Ihre Zukunftspläne aus?
Wir haben unsere offene Plattform selbst entwickelt, sind also sehr flexibel. Damit können wir aktuelle Trends wie Augmented Reality, also beispielsweise die Integration von Gebrauchsanweisungen ins Live-Bild, schnell umsetzen. In diese Richtung wird es künftig gehen.
,,Die Problembeschreibung ohne visuelle Unterstützung ist zeitraubend.“
Interview mit Maximilian Grau, Projektverantwortlicher, Aftermarket & Services Kärcher
Herr Grau, wie kamen Sie darauf, SightCall zu testen?
Wir haben jetzt schon verschiedene Möglichkeiten, Servicefragen abzuwickeln, für professionelle Anwender seit 2014 auch über eine Service-App. Es ist aber Fakt, dass die Beschreibung von Problemen mit einem Gerät ohne visuelle Unterstützung zeitraubend ist und Missverständnisse möglich sind. Das führt zu längeren Wartezeiten für unsere Kunden, was wir vermeiden möchten. Der Live-Videochat von SightCall funktioniert sehr einfach und zuverlässig – wir haben in diese Richtung schon verschiedene Kandidaten angeschaut, aber diese Lösung hat uns klar überzeugt.
Wie kommt die Initiative bei den Service-Kollegen an?
In der Testphase haben einige Auslandsgesellschaften die Möglichkeit, SightCall zu testen. Dazu zählen beispielsweise Frankreich, Österreich, Schweiz, USA oder auch Brasilien. Technisch sind die Kollegen sehr zufrieden. Die Zeitersparnis ist bedeutend, was den Serviceteams effizienteres Arbeiten ermöglicht. Abhängig von der Qualität der Netzanbindung ist allerdings die Qualität der Verbindung je nach Standort unterschiedlich, das liegt in der Natur der Sache.
Und gibt es schon Rückmeldungen von Kunden?
Die sind durchwegs positiv, denn die schnelle Art der Problembehebung kommt gut an. Was bisweilen kritisch angemerkt wird: Der Kunde muss eine App installieren, um den Video-Chat zu nutzen. Daher diskutieren wir mit SightCall bereits eine webbasierte Lösung. Am Ende der Testphase im Oktober 2019 werden wir entscheiden, wie es weitergeht. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir SightCall ins Service-Portfolio aufnehmen werden.
,,Konzerne können agil sein, wenn sie nur wollen.“
Interview mit Sobhan Khani, Vizepräsident Mobility und Internet of Things bei Plug & Play
Herr Khani, was ist das Ziel von Plug & Play, und welche Aufgabe haben Sie persönlich?
Plug & Play wurde 2006 gegründet und hat das Ziel, innovative Start-ups und grosse Konzerne zusammenzubringen. Dazu haben wir industrieweit 14 Innovationsbereiche definiert, beispielsweise Digitale Gesundheit, Cyber Security oder auch den von mir verantworteten Bereich, Mobility & Internet of Things. In jedem Bereich arbeiten wir mit einem speziellen Auswahlprogramm, das für beide Seiten einen klaren Nutzen hat: Start-ups suchen nach Partnern, und für Konzerne treffen wir eine Vorauswahl, die zu ihrem technologischen Bedarf passt.
Wie funktioniert das genau?
Die Konzerne definieren ein technologisches Problem, für das sie eine Lösung suchen. Wir sehen uns weltweit nach passenden jungen Unternehmen um, die daran arbeiten. Daraus filtern wir die Top 100-Kandidaten heraus und bewerten sie hinsichtlich Team, Technologie, Zugkraft und anderen Kriterien. Am Ende haben wir 30 Start-ups, die wir zu unserem „Selection Day“ (Auswahl-Tag, Anm. d. Red.) einladen. Sie dürfen sich jeweils in fünf Minuten den Juroren stellen, die der Konzern uns schickt. Jenseits der finalen Auswahl bringt das für die jungen Unternehmen einen grossen Schritt nach vorne, denn meistens ergibt sich daraus in der Folge eine weitere Zusammenarbeit. Und die Konzerne sehen, was in der Industrie passiert, welche Trends es gibt und können dieses Wissen in der eigenen Produktentwicklung nutzen.
Welche Herausforderungen sehen Sie, wenn zwei so unterschiedliche Welten aufeinanderprallen, der Grosskonzern und das junge Unternehmen?
Das ist auf jeden Fall sehr spannend, denn die eine Struktur ist jung, schnell und agil, die andere ist erfahren, gross und schwerfällig. Eine Hürde für die Zusammenarbeit steckt in den völlig unterschiedlichen Prozessen. Dazu ein ganz einfaches Beispiel aus unserem Alltag: Eines unserer Start-ups zeigte uns eine 40-seitige Geheimhaltungserklärung, das es unterschreiben sollte. Es hatte aber weder Mittel noch Anwälte, ein solches Mammutwerk juristisch zu prüfen. Wir gaben diesen Hinweis weiter, und am Ende kam eine zweiseitige, für beide Seiten praktikable Variante heraus. Dass das möglich war, zeigt übrigens, dass Konzerne agil sein können, wenn sie nur wollen. Und aus meiner Sicht müssen sie das auch, um in Zukunft zu bestehen.
Auf den Spuren der Start-up-Entdecker
2016 gründete Kärcher seine Abteilung New Venture, die heute als eigene GmbH arbeitet. Die Kollegen am Hauptsitz sowie im Sunnyvale (USA) und in Shanghai (China) sind global auf der Suche nach jungen Unternehmen, mit denen sich Innovationen gemeinsam vorantreiben lassen. Gabriele Strassburger von der New Venture-Abteilung erklärt: „Wir haben drei Bereiche: Investitionen, Kooperationen sowie Corporate Start-ups. Investiert wird in Technologien und Geschäftsmodelle, die sich im Dunstkreis der Reinigungstechnik bewegen. Besonders interessant sind Themen wie Connectivity oder Robotik.“ Die Zielsetzung ist, bereits heute zu verstehen, was in Zukunft kommt – wovon im Idealfall beide Partner profitieren.
Im Bereich Kooperationen stehen Start-ups im Fokus, deren Innovationen für Kärcher-Produkte von Interesse sind oder interne Abläufe von HR bis Zahlungsabwicklung verbessern können. „In manchen Fällen übernehmen wir die Rolle eines Testkunden auf dem Weg zum Proof of Concept (Konzeptnachweis, Anm. d. Red.). Oder wir ermöglichen einen Zugang zu ausgewählten Kunden bis hin zum globalen Vertrieb, je nachdem, worum es geht“, erklärt Strassburger.
Das dritte Segment, Corporate Start-ups, zielt darauf ab, unternehmerische Denke zu fördern. Ein internes Innovation Lab lädt seit 2017 alle Mitarbeiter dazu ein, markttaugliche Innovationen zu entwickeln. Wenn die Idee Potenzial für eine Ausgründung hat, unterstützt New Venture bei der Realisierung.
Kärcher New Venture
Kärcher New Venture bringt Menschen, Ideen, Business-Chancen und Kapital zusammen. Als strategischer Partner und Investor ermöglichen wir innovativen, dynamischen Gründern, ihr Start-up weiterzuentwickeln und gemeinsam mit uns die Reinigungsindustrie von morgen zu gestalten.
Ideen verbinden
Wir verbinden die Schnelligkeit und Flexibilität eines Start-ups mit dem Know-how, dem weltweiten Netzwerk und der Infrastruktur eines erfahrenen Konzerns.
Menschen verbinden
Mit unserem Expertenwissen können wir weit über die finanziellen Möglichkeiten hinaus unterstützen.
Business verbinden
Wir sind nicht nur Investor, sondern auch Kunde – und damit das Tor zum globalen Markt für Reinigungslösungen.
Kapital verbinden
Wir stellen Venture Capital bereit – für Start-ups, die mit uns den nächsten Schritt gehen wollen.
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