Teleskopreinigung auf der Sternwarte Stuttgart
Sternenhimmel über Stuttgart
Etwa 10 Milliarden Sterne kann man am nächtlichen Himmel mit modernen Großteleskopen erkennen – nicht ganz so viele sieht man von der Stuttgarter Uhlandshöhe aus. Dort steht seit 1921 die Sternwarte Stuttgart. Auf der Anhöhe mitten in der süddeutschen Landeshauptstadt hallen der Verkehrslärm und die Zugansagen des Bahnhofs im Tal leise nach und jede Menge Licht von Straßenlaternen und Co. liegt in der Nacht wie eine Glocke über der ganzen Stadt. Diese Lichtverschmutzung trägt dazu bei, dass das ehrenamtliche Team der Sternwarte mit ihren Teleskopen nur einen Bruchteil der 10 Milliarden Sterne zu Gesicht bekommt. Aber nicht nur die Lichtverschmutzung trübt den Blick auf die Himmelsobjekte, sondern auch Ablagerungen von Feinstaub, Insekten, Pollen und der Witterung haben den großen Spiegel eines der Teleskope so verschmutzt, dass der Blick in die Sterne eher fahl und kontrastarm wirkt.
Ulrich Teufel, Ingenieur und passionierter Hobbyastronom, hat schon als Junge gern die Sterne durch das Dachfenster seines Kinderzimmers beobachtet und ist darum schon früh dem Verein beigetreten, der die Sternwarte betreut und in Schuss hält. Er konnte sich das verschmutzte Teleskop nicht mehr länger ansehen. Der 49 Jährige steht an einem Dienstag bei Sonnenschein auf dem Plateau des Wasserbehälters und zieht das auf Schienen gelagerte, 150 Kilogramm schwere Teleskop aus dem Blechunterstand. „Heute gehen wir die Reinigung des Teleskopspiegels an“, sagt Teufel. Und was sich nach einer simplen Aufgabe anhört, hat es in sich.
Hochpräzise Oberflächen
Das Herz des Teleskops ist ein 30 Kilogramm schwerer und 50 Zentimeter breiter, hochpräziser Spiegel. Er ist am unteren Ende des Teleskops angebracht und spiegelt das einfallende Licht der Sterne auf einen zweiten Spiegel. Dieser lenkt das Bild über ein Okular dann in das Auge des Betrachters. Die Oberfläche des großen Spiegels ist aufwändig behandelt, damit Unebenheiten lediglich im Nanometerbereich auftreten. Schließlich führt jede Unebenheit zu einem ungenauen Bild. Eine solch präzise Oberfläche ist naturgemäß empfindlich. Würde man einfach mit dem Staubtuch darüberwischen, hinterlassen die Fasern unzählige kleiner Kratzer. „Das Bild wäre dann noch schlechter als mit einem verschmutzen Spiegel“, meint Teufel. „Daher arbeitet man lieber mit einem verschmutzten Spiegel, als mit einem schlecht gereinigten.“
Dennoch muss der Schmutz nun runter und wegen der heiklen Mission dürfen nur Profis ans Werk. Ulrich Teufel und zwei seiner Vereinskollegen haben sich dafür einen Tag freigenommen, denn sie rechnen mit einem mehrstündigen Projekt. Nachdem das Teleskop auf den Vorplatz gezogen ist, machen sie sich ans Werk. Zunächst wird die hintere Abdeckung abgeschraubt und der Spiegel mitsamt Halterung vorsichtig entnommen. Gleich nachdem der Spiegel ausgebaut ist, wird deutlich wie intensiv die Verschmutzung ist, die sich im Lauf der Jahre angelagert hat. Ein grauer Schleier und zahlreiche dunkle Punkte überziehen deutlich sichtbar die Oberfläche. Kein Wunder: Schließlich wurde das Teleskop zuletzt im Jahr 2008 gereinigt.
Geduld und die richtige Technik
Nun ist Fingerspitzengefühl gefragt. Der Spiegel wird in einen großen Behälter gelegt und der Schmutz mit destilliertem Wasser eingeweicht. „Herkömmliches Leitungswasser würde Kalkflecken hinterlassen – und das wollen wir vermeiden“, weiß Teufel. Es folgt etwas Reinigungsmittel, das für Solaranlagen entwickelt wurde. Es ist besonders materialschonend und für die Entfernung von hartnäckigen Verschmutzungen wie Pollen, Ruß und Stäuben gedacht. Und nun ist wieder Geduld gefragt. Zwei Stunden muss die Mischung einwirken.
Währenddessen nimmt sich Ulrich Teufel den Teleskoptubus vor. Die ein oder andere Spinnwebe, Staub und Pollen haben sich auf der Innenseite des schwarzen Velours abgesetzt. Der Stoff, mit dem das Teleskop innen auskleidet ist, dient dazu das Streulicht zu schlucken, um einen klaren Blick auf die Sterne zu haben. Kurzerhand greift er zum Mehrzwecksauger. Ausgerüstet mit Saugpinsel rückt er dem Schmutz zu Leibe.
Blendender Glanz
Zurück zum Spiegel: Der Schmutz ist inzwischen gut eingeweicht und hat sich größtenteils ganz ohne Berühren der empfindlichen Oberfläche abgelöst. Die Reste werden durch sanftes Überstreichen mit einem fusselfreien Tuch entfernt. Es folgt eine letzte Behandlung mit einer Mischung aus Alkoholen – gegen fettige Rückstände.
Das Team lächelt zufrieden, als der schwere Spiegel wieder aus dem Behälter genommen wird. Ein blendender Glanz scheint ihnen entgegen. Nun ist wieder Fingerspitzengefühl gefragt: Mit Samthandschuhen wird das empfindlichen Werkstück wieder in die Halterung geschraubt und im Tubus des Teleskops montiert.
Ungetrübter Blick in die Sterne
Inzwischen ist es Abend geworden, der pulsierende Talkessel liegt schon lange im Schatten der umgebenden Hügel und ganz in der Nähe sieht man den erleuchteten Stuttgarter Fernsehturm in den Nachthimmel ragen. Das Team macht sich an die letzte Aufgabe des Tages: Das Teleskop neu justieren.
Hierzu müssen die verschiedenen Spiegel des Teleskops präzise ausgerichtet werden. So werden Hauptspiegelachse, Fangspiegel und Okularauszug aufeinander ausgerichtet und jede Verkippung eliminiert. Nach rund einer Stunde ist auch diese Aufgabe erledigt und der Blick in die Sterne ist wieder ungetrübt. „Das hat sich wirklich gelohnt“, so das Fazit des begeisterten Hobbyastronomen. Nun können all die Schulklassen und Besuchergruppen, die regelmäßig die Uhlandshöhe besuchen, wieder ein kontrastreiches Bild eines Teils der mehr als 10 Milliarden Sterne erleben. Und auch Ulrich Teufel hat von nun an wieder klare Sicht auf sein Lieblingssternbild Orion.